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Hietzinger Synagoge

Der Wettbewerb um eine Wiener Synagoge

Artikel von Professor Dr. Max Eisler aus dem Jahr 1928

Der Wettbewerb um eine neue Synagoge, den unlängst ein Hietzinger Verein veranlasst hat, darf aus mehrerlei Gründen ein allgemeines Interesse für sich in Anspruch nehmen. Nicht nur wegen der Besonderheit der Aufgabe, die hier nach einer undenklich langen Pause endlich wieder einmal gestellt wurde, und wegen der charaktervollen Modernität der Lösungen, die sie gefunden hat; also nicht allein vom Standpunkte der Kunst, sondern auch von dem der Organisation ihrer Arbeit. Denn es ist hier so nebenbei um die Anerkennung jener körperschaftlichen Grundrechte gegangen, welche unsere Architekten anderwärts längst schon durchgesetzt haben, um die sie aber in privaten Kreisen immer noch kämpfen müssen. Es ging um die Form der Ausschreibung. Zur selben Zeit hatte nämlich eine dem Hietzinger Verein sehr nahestehende Gemeinschaft eine neue Friedhofsanlage ausgeschrieben.

Die Einladung an die Teilnehmer war in der auch sonst üblichen Weise abgefaßt, sie enthielt nur einen kleinen Schönheitsfehler: Die den besten Entwürfen zuerkannten Preise sollten nicht weiter verbindlich sein, das heißt, die Veranstalter der Konkurrenz sicherten sich von vornherein und für alle Fälle freie Hand, die gekrönten oder angekauften Projekte sollten nicht nur in ihren Besitz übergehen, sondern die Auftraggeber mit ihnen auch nach ihrem Gutdünken verfahren dürfen, sie von zweiter Hand durchführen lassen, sie teilweise und gemischt benützen oder im Archiv hinterlegen können. Das kam schon einer völligen Entrechtung der Wettbewerber gleich. Überdies ließ die Zusammensetzung der Jury, der etliche tüchtige und ehrenwerte Männer angehörten, aber kein Architekt von maßgebendem Rang, noch Schlimmeres befürchten.

Die Befürchtungen haben sich erfüllt. Wir haben uns damals mit allen nur statthaften Mitteln bemüht, die Situation noch in letzer Sekunden zu retten. Umsonst. Die Kommission bestand auf ihrem Schein. Jetzt hat sie das Nachsehen. Denn gerade die besten, standesbewussten Kräfte haben nicht mitgetan, das Ergebnis der Ausschreibung war fast belanglos. Schade drum. Der neue Friedhof wird jetzt schlecht und recht zusammengebastelt werden, der Wiener Künstlerschaft ist wieder einmal – für Jahre hinaus – ein eminent modernes Problem verlorengegangen. Und schon darum, weil zur gleichen Zeit jener bescheidene Hietzinger Verein anders als die ihm in mancher Hinsicht übergeordnete Kultusgemeinde, weil er nach dem guten neuen Brauch verfahren ist, hat sein Unternehmen grundsätzliche Bedeutung. Er hat einen Anfang gemacht, dessen günstige Wirkungen in gewissen Kreisen nicht ausbleiben können. Denn da ihm seine Haltung nur Vorteile gebracht hat, werden über kurz oder lang auch jene einsehen, dass es sich im neuen, rechtmäßigen Gleise besser fährt.

In Hietzing hat man von Grund auf sauber gebaut. Hier hieß es: der erste Preis soll auch verwirklicht werden. Und die Jury wählte Josef Hoffmann zu ihrem Leiter. Der Ertrag des Ausschreibens hat dieser Vorbereitung entsprochen. Wenn es auch weiter so ordentlich zugeht, wird Hietzing den ersten rechten Tempelbau in Österreich bekommen. Der alte Tempel in Jerusalem war eine Opferstätte mit Priester- und Chordienst. Die Synagoge, die seit der Zerstörung des Nationalheiligtums an seine Stelle trat, ist ein Bethaus. Sie dient der Versammlung der Gläubigen für ihre gemeinsame Andacht. Aber sie dient auch, in besonderen Stunden, dem Verlesen und Abhören des Gesetzes. Die Beter wenden sich nach Osten, dorthin, wo im erhöhten Schreine die Gesetzesrollen aufbewahrt werden. Gelegentlich werden die Rollen aus der „Bundeslade“ gehoben, in die Mitte der Gemeinde, zum Pult des „Almemors“ hingetragen, und mit ihnen wendet sich die Versammlung von allen Seiten dem Schriftkundigen zu, um den Vortrag des Gesetzes zu vernehmen. Auf solche Art sind nicht nur die Hauptrichtungen und der Mittelpunkt natürlich gegeben, sondern auch Funktion, Charakter und Sinn der Anlage wesentlich gekennzeichnet. Denn was sonst noch hinzukommt, die Absonderung der Frauen auf der nach alter Sitte vergitterten oder verschleierten Galerie, der Vorraum für die Waschung und der Nebenraum für das Studium der Überlieferung, endlich die bis in den Hof reichenden Einrichtungen für die Hochzeitsbräuche, das alles umgibt nur den Kern, ohne umgestaltend in ihn einzugreifen.

Die Teilnehmer an dem Hietzinger Wettbewerb haben sich leider nicht rein an diese ursprüngliche und sinnvolle Ordnung, die Hugo Gorge vor Jahren in seinem ersten Entwurf für dasselbe Objekt so feinfühlig erneuert hatte, halten dürfen. Denn die Vorschrift verlangte nach neumodischer Manier die nahe Nachbarschaft von Lade und Almemor, wodurch die Zentralanlage wegfiel und nur der einseitig gerichtete Hallenbau übrig blieb. Man wird das aufrichtig bedauern müssen Denn auf diese Weise ist nicht nur die gründliche, das Problem an seinen Wurzeln fassende Regeneration des Synagogentyps verhindert worden, sondern auch an Stelle des lebhafteren Formenspiels, das jene Verbindung der östlichen Betrichtung und der Gruppenbildung rundum den Vorleser herbeigeführt hätte, notgedrungen die Monotonie des Raumes getreten.

Die Architekten trifft keine Schuld, aber es vermindert den Wert ihrer Lösungen, der unter anderen Umständen vorbildlich hätte werden können. Doch innerhalb der gegebenen Grenzen haben die Träger der drei Preise und der Urheber des angekauften Projektes mit dem Kennwort „Der neue Welttempel“ ganze Arbeit geleistet. Denn sie sind sauber und sachlich vorgegangen. Ohne falschen Sentimentalität. Und eben das war nach den vielen trüben Erfahrungen auf diesem Felde fast das Wichtigste für ihr Beginnen.

Die Synagoge hat seit undenklichen Zeiten keine andere lebendige Tradition als die ihrer Kultbestimmung. Ihre überlieferten Formen sind – auch in Wien – eine träge Mischung von allerhand fremden Stilelementen, welche die Juden auf den Wegen ihrer Jahrhunderte währenden Wanderungen mitgenommen haben. Der einfach würdige, von der Mystik seines Helldunkels durchrauschte Saalbau des berühmten Portugiesentempels in Amsterdam ist trotz seiner Eignung für eine zeitgemäße Erneuerung ohne Nachfolge geblieben. Dagegen hat sich im letzten Menschenalter in Deutschland ein romanischer Typ, bei uns ein fragwürdiger Orientalismus breitgemacht, der sich ganz unverhohlen aufs „Maurische“ beruft – der eine wuchtig, fast bedrückend, der andere farbhell und heiter, beide aber prachtliebend bis zum Ostentativen und schon deshalb dem Wesen der gesammelten Andacht wiedersprechend, das hier seine Stätte hat.

Der Jugendtempel in unseren Ländern müsste vielleicht irgendwie die Form eines Zeltes bekommen, eines Gehäuses für die tragbare Bundeslade, zum Abbruch und Umzug bereit, die Notform eines Tempels für ein Volk auf der Wanderschaft. In dem ersten Entwurf Gorges war dieser treibende Gedanke überall sinnfällig geworden. Aber auch in seinem zweiten, der jetzt vorliegt, ist er – trotz der gebotenen Rücksichtnahme auf die Forderung der Bauherren – noch verspürbar. Und schon deshalb erscheint er uns als der beste. Der aus Bruchstein aufgeführte Würfel, nach außen vermauert, im Inneren vielfältig aufgeschlossen und auch für die festlichen Umzüge wohl geeignet, hat eine klare und gelenkige Anmut. Bis zu dieser sorgsam gesiebten und verinnerlichten Einfalt, die nebstbei auch die Umgebung, das frei verbaute Gelände im Wiener Außenviertel, in acht nimmt, sind die anderen nicht vorgedrungen. Aber auch sie haben die sentimentalen Attribute, die bisher den Gegenstand überwuchert hatten, entschlossen abgestreift und sich an den bauhaften Kern gehalten.

In diesem Sinne sind auch ihre Lösungen gut und modern. Modern ist der durchsichtige und zweckmäßige Grundriss Arthur Grünbergers, der den ersten Preis erhalten hat. Originell und eingefühlt sind die beiden Baldachine mit ihren Freitreppen zu Seiten des Haupteinganges, die hinauf zu den Galerien der Frauen führen. Sie geben dem Ganzen einen Auftakt südlicher Leichtigkeit. Und in denselben Himmelsstrich verweisen die flachgedeckte, mit Zinnen umkränzte Hausform, die stalagtitenartigen Bogenzapfen, die Rautenmuster der Fenster. Aber die Rhythmik, die all das verbindet, um es am Ende, wieder aufzulösen, ist neu. Scharf stehen einander de Entwerfer der Einsendungen „Aus Erfahrung“ und „Der neue Welttempel“ entgegen. Beide sind Anhänger der körperhaften Masse, selbst die Glieder ihrer Bauwerke wirken nur wie Rumpfstücke. Beide bringen in die Wiener Vorstadt befremdliche Formen. Aber der eine bringt – wenn auch in lebendiger Durchgestaltung – Historisches, einen festungshaften Saalbau von romanischer Gedrungenheit der Verhältnisse, der andere mit derb bündigem Zuschnitt einen ausgesprochenen Amerikanismus, ein Magazin, also eine Art monumentalen Notbau, der dem heutigen Durchgangszustand des Problems ungeschminkten Ausdruck gibt. Zwischen solchen fast diametralen Gegensätzen bleibt dieses Problem des neuen Judentempels noch immer ungelöst. Doch es ist durch die Hietzinger Konkurrenz in Fluss gekommen. Und das verleiht dem Fall allgemeine Bedeutung.

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