Als Eduard Weissberger geboren, erzählt er von seiner Kindheit in der Lainzer Strasse, vom Haus seiner Eltern und der Schulzeit.
Wohnung in der Lainzerstraße 27
Ich wohnte in der Lainzerstraße 27 im ersten Stock, wo wir eine 7-Zimmerwohnung hatten. Im Parterre wohnte Herr Hartel mit seiner Frau. Er war unser Hausbesorger und Gärtner, der unseren herrlichen Garten mit „Lusthaus“ besorgte. Ich war in unserem Garten tagelang auf den Bäumen und pflückte Obst für mehrere Körbe. Ich ass so viel Obst, dass ich mir den Magen verdarb. Ich war viel mit Herrn Hartel zusammen, der mir oft nette Geschichten erzählte. Er hielt Hasen und Hühner und jedesmal wenn er ein Tier schlachtete, weinte seine Frau. Später jedoch briet sie diese Tiere mit Genuss.
In einer anderen Wohnungen lebten Herr und Frau Padrta mit ihrer Nichte, die auch das anliegende Geschäft der Wäscherei und Reinigung besorgte. Das waren nette Leute und ich fühlte mich in ihrer Gesellschaft wohl. In einer Nische beim Hauseingang stand eine antike Statue aus Holz, die eine Madonna darstellte. Sie war wertvoll und mein Vater dachte einmal daran sie zu verkaufen. Frau Padrta hing sehr an dieser Statue und auf ihre Bitte blieb die Madonna auf ihrem Platz. In einer anderen Wohnung, an die ein Papier- und Schreibartikelgeschäft angeschlossen war, wohnte Herr Vagovitsch mit Frau und Tochter. Mit ihm hatten wir korrekte Beziehungen.
Volksschule
Ich ging in die Volksschule am Hietzinger Hauptplatz. Ich hatte einen guten Freund. Die Lehrerin sagte zu meiner Mutter: „Der Helmut kämpft für den Edi wie ein Löwe.“ (Damals hieß ich Eduard und man rief mich Edi). Etwas später hatte ich einen anderen sehr guten Freund. Er hieß Hansl Stätter, seine Eltern waren Adelige. Er war viel in unserem Haus und Garten. Ich war oft im Garten seiner Villa, die einige Häuser von unserem Haus entfernt war, aber nie in der Villa. In Schönbrunn fanden wir einen Baum, der abseits von den Fußwegen stand und bauten in ihm ein „Nest“, wo wir viele schöne Stunden zusammen verbrachten. Vor den Wahlen in Deutschland sagte er einmal zu mir: „Warte was nach den Wahlen sein wird.“ Damals verstand ich nicht was er meinte. Als Hitler zur Macht kam war die Freundschaft vollkommen aus.
Oft nach einem herrlichen Sonntag war es für mich wie ein Alptraum, am folgenden Montag, mit unvollkommenen Hausaufgaben, in die Schule zu kommen. Ich hatte nicht genug Zeit für Hausaufgaben, da ich mit anderen Dingen beschäftigt war. In der Religionsstunde stellte mir der Lehrer eine Frage, (ich glaube er war ein Rabbiner) die ich nicht beantworten konnte. Dann fragte er mich: „Wie lange dauerte der 30-jährige Krieg?“. Ich dachte, trotzdem man diesen Krieg so nennt, dauerte er möglicherweise nur 29 oder vielleicht 31 Jahre und antwortete nicht. Lehrer und Klasse lachten. Er fragte mich noch einige Male mit Betonung der Zahl 30 und alle lachten. Nach der Volksschule ging ich in die Realschule. Bei den Endprüfungen der zweiten Klasse bekam ich einige „nicht genügend“ und stand vor der Wahl, eine Klasse sitzen zu bleiben, oder in der Hauptschule fortzusetzen. So kam ich in die Hauptschule.
Handelsschule
Nach der Hauptschule lernte ich in der Handelsschule Allina. Zu Weihnachten verbrachte ich die Ferien mit der Schule in den Alpen. Als man uns in Gruppen einteilte sagte ich, dass ich mit den fortgeschrittenen Skiläufern sein wollte. Das amüsierte meine Mitschüler, da ich nicht so aussah, und die nicht wussten, dass ich durch meine Ausflüge mit den Pfadfindern im Skilaufen nicht so unerfahren war, als sie annahmen. Nach den Ferien rief mich der Lehrer zur Tafel und gab mir eine Rechenaufgabe auf, die ich zufriedenstellend löste. Darauf sagte der Lehrer: „Bei dem Weisberger kann man nie wissen woran man ist.“ Neben mir saß ein Bursche der älter als ich war. Er erzählte mir viel, dass ihn die Polizei oft verhaftete, um von ihm Namen von Mitgliedern, die so wie er, in der nationalsozialistischen Partei waren, zu erfahren. Einmal fragte er mich: Warum bist du nicht auch in der Partei? Ich antwortete, dass ich das nicht kann, da ich Jude bin. Er schaute mich an und sagte: „Is a schad um Dich.“
Nach der Handelsschule nahm mich mein Vater in seine Fabrik, ein großer Komplex, der sich von der Postgasse bis zur Barbaragasse ausdehnte. Oft gingen wir am Morgen durch Schönbrunn und nahmen dann die Untergrundbahn zur Fabrik. Ich begann Buchdrucker zu lernen. Mein Meister, Herr Kosmos, bemühte sich mit mir. Er sagte zu mir: „Aus dir wird kein Buchdrucker werden“. Er hatte recht. Oft war ich mit einem netten Mädchen, das auch in der Abteilung arbeitete, zusammen. Einmal sagte ich etwas, was sich nicht passte und sie sagte: „Du bist ein mieser Jud“. Das war für mich wie ein Stich mit dem Messer. Sie hat mich schwer verletzt. Das war einige Monate vor dem „Anschluss“. Ich hatte eine andere Religion, zum Teil eine verschiedene Tradition und sprach nicht gut wienerisch. Aber mein Verlangen war als gleichwertig betrachtet zu werden. Als ich bei einem Ausflug in einer Herberge übernachtete, trug ich mich im Gästebuch in der Rubrik „Beruf“ als Arbeiter ein. Ich wollte nicht mehr sein, als einer vom Volk.
Schöne Zeit
Ich hatte schöne Zeiten, bewunderte die wunderschöne Stadt Wien, lebte gut in Hietzing, machte fantastische Ausflüge mit den Pfadfindern. Ich war im österreichischen Pfadfinderbund, Kolone 8, Gruppe 58. In unserer Gruppe waren Juden in der Mehrheit. Ein Jüngling sagte: „Mei Tant is a Jud“. Wir machten jeden Sonntag Ausflüge im Wienerwald. Dann gab es auch Sommer- und Wintertouren und Sommerlager mit der ganzen Kolone, wo wir selber unsere Holzhütten bauten. Das Heim unserer Gruppe befand sich im Schloss Schönbrunn, in einem Seitenflügel, der einmal für Dienstpersonal bestimmt war. Außerdem ging ich oft auf Stehplatz in die Oper, auch ins Theater und in den Prater. Es gab viele freundliche Leute. Was mich aber schon damals störte war, wenn die Freundlichkeit nicht ernst gemeint war, und das geschah oft. Nach dem „Anschluss“ hatte ich einen Unfall und kam ins Krankenhaus. Jeden Tag kam ein Bursche und sagte laut: „Der Herr hat gehängt die Juden. Hier liegt der Jud mit der zerschnittenen Haxen“. Der Mann der neben mir lag sagte: „Aber das ist doch jetzt nicht so wichtig“.
ElternMein Vater stammte aus der Tschechei, während meine Mutter von Kindheit Wienerin war, wie auch ihre Vorfahren seit Generationen Wiener waren. Nicht weit von Prag besuchten wir die Grabstätte von einem Ur-Urgrossvater, der ein berühmter Rabbiner war. Wir machten einen Abstecher nach Wien, wo wir acht Stunden verblieben. Wir standen vor dem Haus in der Lainzerstraße 27 und mein Bruder und ich erklärten von der Straße aus, wo sich die verschiedenen Zimmer befanden. Vor fünf Jahren stand meine Tochter mit ihrem Mann so wie wir vor dem Haus. Sie bat um Einlass, er wurde ihr aber nicht gewährt. Ich wollte sehr meiner Frau und meinen Kindern den Garten zeigen, der viel zu unserer Fröhlichkeit beitrug. Möglicherweise hätte man uns hineingelassen. Ich wagte aber nicht um die Erlaubnis zu bitten, da eine Verneinung mich zu sehr betroffen hätte.