Irene Jerusalem war eine Lehrerin der Wenzgasse, wurde nach Lodz (Polen) deportiert und von den Nationalsozialisten ermordet.
Aufmerksam gemacht auf Frau Prof. Irene Jerusalem wurden wir durch eine im Schulhaus befestigte Gedenktafel mit folgendem Wortlaut:
„Zum Gedenken an Frau Prof. Irene Jerusalem, die an dieser Anstalt viele Jahre segensreich wirkte. Sie wurde 1941 nach Lodz-Polen deportiert und starb als Opfer des NS-Regimes.“ Das machte uns neugierig, und wir wollten mehr über das Leben von Prof. Jerusalem erfahren. Schon bald organisierte Frau Prof. Brandl – Berger ein Treffen mit Dr. Hans Jerusalem, dem Neffen von Irene, und zusammen mit zwei Klassenkameraden und meiner Deutschlehrerin besuchten wir ihn. Hans Jerusalem zeigte uns Photos, erzählte viel aus dem Leben seiner Tante, bei der er aufgewachsen war, und gab uns einige Adressen von Leuten, die Irene Jerusalem persönlich gekannt haben. Irene Jerusalem war wegen ihrer Lehrmethoden und ihrer freundlichen, aber doch strengen Art bei den meisten Schülerinnen sehr beliebt. Von Frau Dr. Hertha Bren, einer ehemaligen Schülerin, erfuhren wir, dass sie für alle eine außergewöhnliche Professorin gewesen war, weil sie von ihr gelehrt wurden, über die Probleme des Lebens nachzudenken, stets nach den Hintergründen zu fragen und sich nicht widerstandslos irgendeine Meinung aufdrängen zu lassen. Angeregt durch ihre Schülerinnen, half Irene Jerusalem mit, durch Spenden eine Wohnmöglichkeit für (anfangs 10) obdachlose Mädchen im Wiener Settlement zu finanzieren.
1937 verließ Irene Jerusalem die Schule und ging in Frühpension; sie ahnte im Voraus, was kommen würde, und somit ersparte sie sich eine Kündigung durch die Nationalsozialisten nach 30 – jähriger Tätigkeit an unserer Schule. – Als sie 1941 den Bescheid bekam, dass sie sich zwei Wochen später zum Abtransport an ein unbekanntes Ziel einzufinden habe, versuchte sie nicht einmal zu fliehen, obwohl sie einen Bruder in Israel hatte. Irene Jerusalem blieb, wurde nach Lodz deportiert und 1941 von den Nationalsozialisten ermordet. Wir hätten noch gerne erfahren, wie der Anschluss 1938, die Kündigung jüdischer Lehrer/innen und der Austritt von 110 jüdischen Schülerinnen aus der Schule von den übrigen Lehrer/innen und Schülerinnen aufgefasst wurden, ob sie überhaupt versuchten, sich um diese zu kümmern und ihnen zu helfen, oder ob sie alle wegsahen, nicht darüber sprachen und sogar der Judenverfolgung zustimmten. Welche Gründe gab es für die „arischen“ Schülerinnen, ihre jüdischen Kolleginnen zu meiden, die Unterhaltung mit ihnen auf ein Minimum zu reduzieren, sie aus der Gemeinschaft auszuschließen? War es die Unsicherheit, wurden sie von ihren Eltern – schon länger oder von einem Tag auf den anderen – dazu erzogen, oder hatten sie selbst Angst?
Wir glauben, Irene Jerusalem hat ihren Schülerinnen viel gegeben, denn es ist – heute zumindest – etwas Außergewöhnliches, von einem Lehrer so eine gute Meinung zu haben, sich später an so viele seiner Aussprüche zu erinnern und sich sogar für das Fach genauso zu begeistern wie der Lehrer selbst. Irene Jerusalem motivierte ihre Schülerinnen, half ihnen, kümmerte sich um die Mädchen im Obdachlosenheim, die sie regelmäßig besuchte und sich mit ihnen unterhielt, und sie zog auch noch ihren Neffen Hans auf. Als Hertha Bren sie aus Verzweiflung privat besuchte – sie durfte nach der Matura, weil sie eine jüdische Großmutter hatte, nicht studieren und auch keinen Sozialberuf ergreifen – sprach sie lange mit ihr, sagte ihr, was für andere Möglichkeiten einer Ausbildung sie noch hätte und baute sie wieder auf. „Sie jedoch, die uns die Liebe zu den Menschen lehrte, die sich am Beginn ihres Leidensweges sorgte, ob wir damals Verfolgten die Probe als Sieger bestehen würden, kam nie mehr zurück.“ (Zitiert aus einem Text von Dr. Hertha Bren.) Früher waren es 6 Millionen ermordete Juden, eine unfassbare Zahl, aber jetzt ist uns daraus ein Schicksal nähergerückt, und wir verstehen alles besser.
Auch Prof. Paula Fuchs und Prof. Martha Weißweiler gingen in Konzentrationslagern zugrunde, wie wir der Rede von Dr. Eva Berger-Hitschmann anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der „Wenzgasse“ entnommen haben. Von Paula Fuchs wissen wir, dass sie am 14.9.1942 nach Maly Trostinec deportiert wurde und am 18.9.1942 starb. Martha Weißweiler wurde am 14.9.1942 nach Theresienstadt deportiert und zwei Jahre später, am 16.10.1944, nach Auschwitz überstellt, ihr Todesdatum ist nicht bekannt.
Inzwischen ist der „Irene Jerusalem Weg“ in Hietzing nach ihr benannt.