Das Vermächtnis von Eleanor Roosevelt
Amerika bedeutete für mich Eleanor Roosevelt. Als wir im Februar 1939 in New York ankamen, ohne Geld und ohne englische Sprache, nur mit unserer einjährigen Tochter Lisa, war unser Selbstbewusstsein nicht sehr groß. Zu dieser Zeit begrüßte Eleanor Roosevelt, die Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten, eine Gruppe neu angekommener Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland. (…)
„Wir hier in Amerika,“ sagte die berühmte hohe Stimme, „möchten, dass es Ihnen klar ist, dass Ihr Kommen keine einseitige Angelegenheit ist. Wir hier geben Ihnen eine Zuflucht und eine neue Heimat. Aber Sie, in der Tradition unseres Landes, welches aus Immigranten wie Ihnen besteht, bringen uns Ihre Talente, Ihr Wissen und Ihre Kultur. Wir danken Ihnen für diese Geschenke, welche unser Land bereichern und unseren Horizont erweitern, und wir heißen Sie willkommen.“
Stella K. Hershan, Ausschnitt aus dem Text: „Vermächtnis von Eleanor Roosevelt.
My Visit with Mrs. Roosevelt
What person in public life do you admire most?“ the psychology instructor asked his adult students. Mrs. Roosevelt`s name leaped to my mind. I was not alone in my choice. To be sure, there were three Abraham Lincolns, two George Washingtons, even one Ingrid Bergman. But Eleanor Roosevelt won by a landslife. (…)
During the summer I joined the League of Woman Voters. At the first meeting the chairlady explained that the nonparrisan purpose of the league was to acquaint people with politics, give them the facts about the persons running for election, explain bills to be vetoed or passed. „I wish the new members would tell us how they happened to join,“ the president said. Recently I read Mrs. Roosevelt`s book „You Learn by Living“ in which she speaks of two men who came to see her without a specific purpose. Had she wasted her time? I don`t think so. I feel certain that she said something vital to them, something that took root and grew, that made life more meaningful than before. She did it for me.
Stella K. Hershan, Ausschnitt aus dem Text: „My visit with Mrs. Roosevelt“ (1961)
In Freundschaft Elisabeth
Liebe Freundin! Diese vielen Biographien und Romane, die während all der Jahre über mich geschrieben wurden, haben mich eher gelangweilt. Es ist ja kein Wunder, denn die meisten wurden von Männern verfasst. Und die haben doch, wie wir wissen, keine Ahnung davon, wie Frauen fühlen. Egal ob damals oder heute. Das gilt auch für Ihren Professor Freud, den jetzt alle so bewundern. Ich halte von dem genau so wenig wie von allen anderen. Ich bin nur froh, dass er mir erspart blieb. (…)
Dieser 10. September 1898 war ein herrlicher Tag. Ich stand auf dem Balkon meines Zimmers im Hotel Beau Rivage in Genf. Neun Jahre waren seit Rudis Tod vergangen und ich glaube, es war das erste Mal seither, dass mich die Sonne wieder wärmte. Vielleicht sollte ich von nun an in der Schweiz leben, dachte ich. Es ist ein ruhiges, friedliches Land, mit ehrlichen und aufrichtigen Menschen. In den vergangenen Jahren bin ich in allen Ecken und Enden Europas gewesen. Auch in Ägypten und Nordafrika. Gerne wäre ich über das große Meer nach Amerika gereist, aber diesen Wunsch hat mir mein Mann abgeschlagen. (…)
Als sie mich auf einer Bahre zurück zum Hotel trugen, öffnete ich noch einmal meine Augen, der schneebedeckte Berg war sehr schön. Ich sah ihn noch klarer als vorher…. Dann sah ich Franz Joseph. Er saß in seinem Arbeitszimmer, hatte den Kopf auf die Arme auf dem Schreibtisch gelegt. Als er hörte, was passiert war, soll er gesagt haben „…mir bleibt wirklich nichts erspart…“ (…)
Ich wollte gern sein Haar berühren. Aber beim Vornamen konnte ich ihn immer noch nicht wieder ansprechen. Und das war also meine Geschichte. So hat sie sich zugetragen, – oder zumindest ungefähr so… Sie waren sehr geduldig mit mir. Aber nun habe ich genug erzählt. Leben sie wohl…
Stella K. Hershan, Ausschnitt aus dem Text: „Elisabeth“ (1961)
Der nackte Engel
Dresden, im Haus der Czartoryskis, 22. Dezember 1800. „Warum war ich nur ein solcher Narr und habe dich mitgenommen“, sagte Peter während unserer Flucht aus St. Petersburg immer wieder. Ich hätte nicht nachgeben dürfen!“ „Schweig endlich!“ hätte ich am liebsten gerufen. (…)
Aber natürlich wagte ich es nicht. Mein Mann ist dreiundvierzig, ich bin siebzehn – vor einem Jahr haben wir geheiratet und Fürst Bagration erwartet von mir denselben Gehorsam wie von seinen Soldaten. Es war Mitternacht, als er in sein Zimmer gestürzt kam und mich weckte.
Stella K. Hershan, Ausschnitt aus dem Text: „Der nackte Engel“ (1972)
The Maiden of Kosovo
Vienna, June 28th, 1914. „Extra! Extra!“ screamed the newspaper boys as they raced over the Ringstraße waving their papers. „His Imperial Highness, Franz Ferdinand, heir to the throne, and his wife shot to death in Sarajevo!“ Bernadette Bauer shook her head as a boy offered her a paper. Her thoughts were with Tim and her unborn baby. Politics did not interest her. They had nothing to do with her own life. Besides, no one in Vienna cared much for Franz Ferdinand.
Stella K. Hershan, Ausschnitt aus dem Text: „The Maiden of Kosovo“ (2003)
Ein Kind der Revolution
Paris 1775. Langsam dämmerte der Morgen und warf seine grauen Schatten über die Stadt. Paris! dachte das Mädchen mit dem dunklen, lockigen Haar und dem veilchenblauen Schimmer in den staunenden Augen. Yvette saß neben ihrem Vater auf dem klapprigen, alten Bauernkarren, mit dem er Obst und Kartoffeln in die Stadt führte. Paris! Sie war wirklich und wahrhaftig in Paris! (…)
„Das stimmt“, sagte Marie. „Unsere Tochter sieht genau so aus wie ihre Großmutter. Wir haben sie auch nach ihr benannt. Sie heißt Yvette.“ Nancy richtete sich wieder auf und schaute den großen Jungen an, der dicht neben Marie stand. „Ihr jüngerer Bruder?“ erkundigte sie sich höflich.
Stella K. Hershan Ausschnitt aus dem Text: „Ein Kind der Revolution“ (1989)